Wie lässt sich Analoges mit Digitalem verbinden? Wie kann man alte Handwerkstechniken oder Technologien ins Jetzt und in die Zukunft übersetzen? Florian Kaps, Gründer des international agierenden Ideen- und Tüftellabors „Supersense“ in Wien arbeitet an vielen Projekten, die alle eine Message haben: „Vertraut euren Sinnen wieder mehr. Sie sind unglaublich und ein Werkzeug, auf das man sich verlassen kann, um richtige Entscheidungen zu treffen.“ Ein Gespräch mit Doc, alias Florian Kaps. Ein besseres Opener-Interview könnte es für CLÄRCHEN FINDET gar nicht geben!

Doc, Du kommst aus einem ganz anderen Berufsfeld?
Ob das was ganz anderes ist, ist noch nicht entschieden (lacht).
Im Endeffekt haben mich immer schon die Sinne interessiert: Welche Sinne gibt es? Wie nehmen wir unsere Umwelt wahr? Was sind prinzipielle Abläufe? Was machen sie mit uns? Und nicht nur mit uns, sondern auch mit der Tierwelt? Darum habe ich Biologie, mit Schwerpunkt Neurophysiologie studiert, um grundsätzliche Abläufe zu verstehen. Ich habe viele Jahre damit verbracht, zu untersuchen, was Spinnen sehen. Das war sehr spannend. Der Biologie habe ich mittlerweile den Rücken gekehrt, doch mit Sinnen beschäftige ich mich weiterhin. Vielleicht heißt meine Company auch deshalb „Supersense“. Denn auch hier geht’s wieder um Sinne, dieses Mal aber mehr um die des Menschen. Und um die Frage: Welche Bedeutung haben die Sinne in unserer, immer digitaleren Welt? Unser Fazit ist: Wir müssen unsere eigenen Sinne wieder mehr einsetzen, um die richtigen Entscheidungen zu treffen.
Die Sinne als Kompass in der heutigen Welt?
Ganz sicher sogar. Unsere fünf Sinne sind dafür verantwortlich, dass wir heute dasitzen können und nicht schon von Säbelzahntigern zerfleischt wurden oder giftige Pilze gegessen haben. Unsere Sinne waren schon immer unsere Grundausstattung, nicht nur fürs Überleben, sondern auch für die Evolution. Nehmen wir zum Beispiel das Feuer und die Veränderung der Nahrung dadurch. Das hat dazu beigetragen, dass sich das Gehirn der Menschen weiterentwickeln konnte. Die Sinne beeinflussen das, was wir machen und tun und spüren und auch die Entscheidungen, die wir treffen. Ebenso wie die Frage, wie wir Erlerntes weitergeben oder auch unsere Fortpflanzung. Unsere Sinne sind nach wie vor unser allerwichtigstes Werkzeug, um zu überleben und auch, um in dieser schwierigen Zeit die richtigen Antworten zu finden. Merkwürdigerweise wichtiger als ein Facebook-Account oder das Internet (lacht).
Würdest Du sagen, dass die Digitalisierung für unsere Sinne förderlich ist oder eher dazu beiträgt, dass diese verkümmern?
Das ist die entscheidende Frage. Eigentlich befürchtete man, dass durch die fortschreitende Digitalisierung, durch die Nutzung digitaler Geräte, die ja immer nur zwei Sinne anspricht, das Sehen und das Hören, andere Sinne verkümmern. Dass man eigentlich den „Kampf“ verloren hat und die Jugend – und da denke ich etwa auch an meine Kinder – alles, was sie braucht über das iPhone oder Smartphone bezieht. Die gute Nachricht ist: Es ist das Gegenteil passiert! Der längere Gebrauch digitaler Medien hat nicht dazu geführt, dass die Sinne verkümmern, sondern dass diese eigentlich noch mehr geschärft wurden. Derzeit gibt es gerade von der digitalen und post-digitalen Generation ein so unglaubliches Interesse daran, wieder alle fünf Sinne einzusetzen, zu riechen, anzugreifen, … Ich finde, dass ist die unglaubliche Chance, die das Digitale dem Analogen bietet. Deshalb ist es auch so wichtig, dass traditionelles Handwerk und Analoges nicht nur bewahrt, sondern auch komplett neu gedacht wird. Es ist wichtig, dass man sich überlegt, wie man diese Chance nutzen und diese Techniken in einer modernen Welt, mit digitalen Möglichkeiten neu positionieren kann. Durch diese Faszination und Magie, die gerade auch die jungen Leute in den Bann zieht.
Findest Du, dass die Digitalisierung jenen „Mangel“, da „nur“ zwei Sinne gefordert sind, aufgezeigt hat?
Ich finde schon und sage immer „Das Digitale ist die beste Werbung für das Analoge“. Doch das Digitale hat ja auch viel Positives: Man genießt die Freiheit und die Möglichkeiten. Ich habe auch gejubelt, als die CD gekommen ist oder das erste Lied zum Downloaden war. Doch durch den langjährigen Gebrauch merkt man einfach, dass etwas fehlt. Man kann es schwer beschreiben. Das beste Beispiel ist wohl: Wenn es einem wirklich schlecht geht, kommt man drauf, dass ein Freund, der einen in den Arm nimmt wesentlich wichtiger ist, als 5.000 Facebook-Freunde… Das sind einfach zwei unterschiedliche Sachen und nicht mal zu werten. Aber ich glaube, man muss beginnen, sich zu überlegen, wie man das Analoge und auch Traditionen, und das Digitale neu verbinden kann. Das eine widerspricht ja dem anderen nicht. Das sind unterschiedliche Wertigkeiten. Man muss nur aufhören zu glauben, dass das Analoge überflüssig ist und man es nicht mehr braucht. Dass man etwa wie in manchen Schulen in den USA schon gar keine Handschrift mehr lehrt. Das Erlernen einer Handschrift ist nämlich nicht nur wichtig für die Entwicklung des Gehirns, für die Bildung von Synapsen. Es ist auch ein total komplexer handwerklicher Prozess. Wenn wir alles, was wir mit der Hand machen nur mehr auf Touchscreens und Tastaturen machen, ist das eigentlich ein Rückschritt zu dem, was wir imstande sind mit den Händen zu machen. Der Mensch ist nun mal analog und wird es hoffentlich auch in den nächsten Jahrtausenden bleiben. Das Digitale kann ein schönes Tool werden, doch dürfen wir nicht zum Tool des Digitalen werden.
Was waren spannende Erfahrungen beim Polaroid-Projekt?
Als wir 2008 die letzte Polaroid-Fabrik in den Niederlanden gekauft haben, haben sich plötzlich viele junge Leute dieser Technologie ungeheuer interessiert zugewandt. 2008 haben alle ein iPhone bekommen, meine Kinder jedoch eine Polaroid-Kamera. Das war damals so ziemlich die schlimmste Bestrafung, die man einem Kind antun konnte. Aber schon drei Jahre später war die Polaroid-Kamera spannender als das iPhone. Seitdem versuche ich das zu verstehen. Auch das Supersense ist ja eigentlich ein riesiges Experimentier-Labor, wo wir versuchen genau das herauszufinden: Wie hängt das alles zusammen? Warum ist das so? Das sind die Fragen, an denen wir seit den vergangenen Jahren arbeiten und herumprobieren und die wir versuchen besser zu verstehen.
Außerdem konnten wir durch das Polaroid-Projekt weltweit ein großes Netzwerk an Leuten etablieren. Es ist einfach so, wenn man so eine Fabrik gerettet und neugestartet hat, dann erregt man internationale Aufmerksamkeit und bekommt viele Anfragen aus aller Welt (lacht). Leider können wir noch immer nicht alles retten, was es zu retten gibt. Aber ausgehend von Polaroid hat sich Vieles zu entwickeln begonnen.
Supersense ist daraus entstanden?
Genau! Ich finde, es ist wichtig, dass wir die Sachen, die die wir lieben und die uns faszinieren neu denken. Es geht nicht darum, Dinosaurier ins Museum zu bringen. Es gibt ein schönes Sprichwort: „Tradition ist nicht die Anbetung der Asche, sondern die Weitergabe des Funkens.“ Ich glaube, genau das ist wichtig. Und das ist wohl auch die Brisanz der aktuellen Situation: Denn es reicht nicht, Maschinen oder Technologien am Leben zu erhalten, man muss auch dafür sorgen, dass die Expertise und Erfahrungen, wie man mit diesen Maschinen umgeht, an die nächste Generation weitergegeben werden. Und dazu haben wir nicht mehr allzu lange Zeit, denn viele dieser Leute und Wissensträger*innen sind 60, 70 Jahre alt.
Bei Supersense probieren wir nicht nur, diese Maschinen zu retten und mit neuen Zielgruppen in Verbindung zu bringen, sondern wir sorgen auch dafür, dass Knowhow und Wissen weitergegeben werden. Für uns ist es wichtig Thesen zu testen, eigentlich alles hier, an diesem Ort zu produzieren und Kooperationen mit größeren Unternehmen zu initiieren. Supersense ist also der Versuch all dem eine Zentrale zu geben und sich hinausgehend über das Thema Fotografie mit anderen Technologien zu beschäftigen. Eines unserer aktuellen Hauptaugenmerke liegt auf der Schallplatte. Auch so ein Technologie-Thema: Eine Technologie, die überraschenderweise überlebt hat, die aber noch nie jemand konsequent neu gedacht hat. Oder wo man probiert hat, wie kann man diese mit modernen Technologien neu denken und in die Zukunft übersetzen kann. Das ist neben ein paar weiteren, gerade eines der heißesten Themen, an denen wir aktuell arbeiten.
Wie würdest Du das Neudenken von Schallplatten beschreiben?
Die Herstellung von analogen Schallplatten basiert noch immer auf einer Technologie aus den 1950iger-Jahren. Diese ist – gelinde gesagt – sehr umweltunverträglich u.a. durch das Trägermaterial Vinyl und einfach nicht mehr modern. Es hat sich aber nie jemand mit dem Thema auseinandergesetzt und überlegt, wie man analoge Schallplatten anders produzieren könnte. Seit 10 Jahren versuchen wir neue Technologien einzusetzen und Schallplatten nicht mehr zu pressen, wie das jetzt gemacht wird, sondern in großen Stückzahlen zu schneiden.
Hat sich vom Trägermaterial etwas verändert?
Wenn man Platten nicht mehr presst, kann man auch andere Trägermaterialien nutzen. Einer unserer Träume und Visionen ist, dass wir auf Recycling Plastik, also Ocean Plastic schneiden, anstatt auf Vinyl.
Wie oft macht Ihr Live-Recordings?
Wir haben immer wieder Live-Recordings, doch die Pandemie hat auch hier alles ein wenig durcheinandergebracht. Derzeit arbeiten wir sehr intensiv an der Entwicklung und Produktion eines großen Projekts für Universal, wo wir von alten Tonbändern Schallplatten herstellen.
Was wünscht Du dir für die Zukunft? Gibt es noch weitere Orte, die Du vor dem Verschwinden retten möchtest?
Es gibt viele Themen und Orte, die es zu retten gäbe (lacht). Plus: Es gibt auch viele Dinge, die man neu denken sollte und da würde ich gerne mit Unternehmen zusammenarbeiten, um auf vielen weiteren Ebenen zu versuchen, Analoges mit Digitalem zu verknüpfen. Ich denke, es wäre etwa irgendwann notwendig eine neue Generation von Smartphones zu entwickeln. Genauso wie das iPhone damals, wodurch das Mobiltelefon revolutioniert wurde. Es wäre eine spannende Aufgabe und Chance dieses nochmals neu zu denken. Eins, das sich auf die Vorteile des Digitalen konzentriert und das ausblendet, was schadet. Was ist das Positive, was durch das Smartphone in unser Leben gebracht wird? Ich glaube die Lösung kann grundsätzlich nie daran liegen, dass man sagt, etwas ist schlecht und es verteufelt, sondern überlegt, etwas Positives daraus zu entwickeln. Etwas, das eine Alternative gibt. Und einen bewussten Umgang aufzeigen und zu lernen.
Das Interview wurde im Juli 2022 geführt.
Links:
Impossible POLAROID INSTANT FILM (supersense.com)
https://animpossibleproject.com/




